Mittwoch, 30. März 2016

Erfahrungsbericht: Pat Parellis Yoga for horses

Lest auch meinen 4my.horse-Fachartikel: Wohin gehört der Pferdekopf?


„It’s not easy, but simple“

© Nicola Steiner

„Es ist nicht einfach, aber simpel“, war eines der Zitate aus dem„Level 4 & beyond-Kurs“ mit Pat Parelli persönlich, das mich besonders beeindruckt hat, denn Pat machte klar, dass alles, was kompliziert ist, mitnichten gut und raffiniert sein kann. Meine Tochter wurde für einen der kostenlosen Gallery-Plätze ausgesucht und ich durfte sie Ende März dorthin begleiten. Die Teilnehmer sollten Parellis Level 3 absolviert haben, also sowohl am langen Seil wie in der Freiheitsdressur eine gute Beziehung zum Pferd aufgebaut und beim Reiten unter Beweis gestellt haben, dass sie einerseits die Notfallzügelhilfen aus dem Eff-Eff beherrschen, aber andererseits ihr Pferd ganz ohne Zügel anhalten und lenken können.


Das sind die Grundlagen und einer von Pats Grundsätzen ist „foundation before specialisation“: Denn manche Reiter und Trainer sind so ehrgeizig, dass sie sich weder Zeit für Bodenarbeit noch für Notfallhilfen nehmen, sondern gleich mitten in der Gymnastizierung und dem Reiten auf Turnieren beginnen. Das wäre in etwa so, als würde man ein Kind in die Schule schicken und verlangen, dass es vom Fleck weg in der Lage ist, die weiterführende Schule zu besuchen. Mit seiner Forderung nach der richtigen Reihenfolge in der Pferdeausbildung befindet sich Pat Parelli in bester Gesellschaft, denn auch der Begründer der École de Légèrété Phillippe Karl fordert in seinem Buch „Irrwege der modernen Dressur“ folgendes auf Seite 47: „Deshalb ist die Reihenfolge der einzelnen Punkte so wichtig. Zuerst das Nachgeben im Unterkiefer fordern, dann die vollständige seitliche Biegung ohne Genickbeugung, als dritten Schritt das Beugen des Genicks ohne Absenken des Kopfes und schließlich die Dehnungshaltung nach vorwärts-abwärts.“
Der Kurs war also explizit für diejenigen, die die Grundschule mit ihren Pferden erfolgreich absolviert haben: Nun im Level 4 ging es um das Thema „foundation for performance“: Das Pferd soll nun auf Wettbewerbe vorbereitet werden, wobei der Schwerpunkt des von uns besuchten Kurses auf den Disziplinen Cutting, Reining und Working Cowhorse lag – also die Disziplinen, die ein athletisches Pferd erfordern. Da die Levels 1 und 2 des Systems ohnehin nicht dafür gedacht sind, Pferden etwas beizubringen, sondern nur Menschen lehren, haben die Teilnehmer im dritten Level sichergestellt, dass ihre Pferde im mentalen und emotionalen Bereich ausgeglichen und vertrauensvoll sind, weil emotionale Blockaden in der Bodenarbeit aufgelöst wurden. Im Idealfall bietet das Pferd die Dehnungshaltung deswegen an, weil es emotional und mental bereits versammelt (und natürlich entspannt) ist. Bevor wir ans körperliche Training der Pferde gehen, müssen wir zudem sicherstellen, dass das Pferd die an es gestellten Aufgaben geistig verstanden hat und weiß, was es tun soll. Erst dann ist es bereit, vom Reiter in körperlicher Versammlung geritten zu werden. Das Pferd soll also keineswegs über einen längeren Zeitraum in einer für es ungesunden Haltung mit weggedrücktem Rücken geritten werden. Daher hat Parelli immer wieder darauf hingewiesen, dass seine Schüler und Studenten nicht zu lange in den Levels 2 und 3 verweilen oder gar „hängen bleiben“ sollen, denn ein gesundes Pferd benötigt eine gute Gymnastizierung. Genauso ist auch das Parelli-Zitat „Im Level 4 geht es eigentlich erst los“ zu verstehen.
Bei der Gymnastizierung nach Natural Horsemanship-Prinzipien (siehe dazu auch Link) geht es wie in jeder anderen Reitweise auch darum, wechselseitig Muskelgruppen zu stärken bzw. zu dehnen, um das Pferd auf schwierige Manöver wie z.B. den fliegenden Galoppwechsel vorzubereiten. Dafür sind die Seitengänge ganz besonders geeignet. Auf Englisch heißt Schulterherein „Shoulders-In“ und Travers „Haunches-In“. Pat Parelli hat auf faszinierend logische Art und Weise die Hilfengebung dafür erklärt, beispielsweise, dass die stellende Hand aufwärts gehen muss und auf keinen Fall nach hinten. Ein wesentliches Element war auch der Einsatz des „Supporting rein“, der im Westernreiten „Neck rein“ und bei Phillippe Karl „Rêne d’appui“ genannt wird und hier weniger dem Lenken dient als dem Stabilisieren der Schulter. Das Reiterbein soll fürs Pferd eine Grenze darstellen: Eine der Reiterinnen hatte das Problem, mit dem ich selbst mich noch letztes Jahr gewaltig herum geschlagen hatte: Weggestreckte Reiterbeine. Das Bein gehört aber ans Pferd angeschmiegt – gar nicht so einfach, jahrelange Gewohnheiten aufzubrechen. Es war ein unvergessliches Erlebnis und beeindruckend mit wie viel Humor Pat diese Reiterin unterstützt hat: Immer wenn ihr Bein wieder ein Eigenleben vom Pferd weg entwickelt hatte, spurtete Pat mit seinem Pferd los und baute selbst energisch die fehlende Grenze auf, die auf Englisch „Boundary“ genannt wird. Pat blieb dabei in jedem Moment herzlich und die Reiterin hat sich in diesen fünf Tagen in unglaublicher Geschwindigkeit weiterentwickelt – wie übrigens auch alle anderen Teilnehmer.
Den Einsatz von Sporen hat Pat mithilfe einer Simulation erklärt: Eine Teilnehmerin begab sich in den Vierfüßlerstand und Pat piekste sie sanft seitlich in die Rippen. Daraufhin wölbte sie ihren Rücken. Genau dafür seien Sporen beim Pferd gedacht, erklärte uns Pat.
Zurück zu den Seitengängen: Als Westernreiter wussten wir natürlich, dass die stellende Hand höher sein muss, als die andere. Faszinierend waren allerdings Pats Griffe in die „Natural“-Trickkiste, denn wenn man den Blick und den Fokus in die Seitengänge integriert, werden diese wirklich simpel (wenn auch nicht immer einfach). Zum Beispiel hat Pat darauf geachtet, dass der Arm der oberen Hand gebeugt wird, wohingegen der andere Arm gestreckt sein soll (Ähnliches hatten wir doch damals im Level 2 gelernt). Pat erklärte den Zusammenhang folgendermaßen: „Manchmal ist die eine Hand deswegen unten, damit die andere weiter oben ist.“ Natürlich weiß auch Pat, dass niemand auf Turnieren so deutliche Hilfen geben darf: Was zu Beginn des Kurses noch übertrieben wurde, um Mensch und Pferd das Verständnis zu erleichtern, wurde von Tag zu Tag so sehr verfeinert, dass die Hilfengebung am Ende bei vielen Teilnehmern fast unsichtbar war: Sein System führt eben vom Einfachen zum Schwierigen in logisch aufeinander folgenden Schritten. Und egal, welches Problem ein Reiter hatte, Pat fand immer eine individuelle Lösung. Bestandteil des Kurses waren auch das Trailtor, ein Rückwärts-S und die Unterteilung des Spin-Trainings in mehrere aufeinander aufbauende Einzelübungen. Die Hälfte davon kannten wir bereits von unserem Reining-Trainer in Deutschland, aber die Integration der „fehlenden Übungen“ ist geeignet, mögliche Widerstände beim Pferd zu reduzieren. Auf die Elemente aus den Westerndisziplinen Trail, Cutting und Reining werde ich in meinem Buch zum Thema „Turnierreiten nach Natural Horsemanship-Prinzipien“ noch eingehen, wozu ich soeben das letzte Kapitel geschrieben habe.
Nicola Steiner
© Nicola Steiner
An dieser Stelle geht es um die Gymnastizierung, die Pat„Yoga for horses“ nennt. Eine Übung war auch, dass der Reiter (zunächst im Stand) mit beiden Zügeln eine Grenze aufbaut, so dass das Pferd sein Kinn in Richtung Pferdeschulter nehmen sollte, denn alle Muskeln des Pferdes sollen gedehnt und gestärkt werden. Wirklich alle, was die unvermeidliche Anmerkung aus dem Publikum nach sich zog, dass die Pferde bei dieser Art von Dehnung doch kurzfristig hinter die Senkrechte geraten sind. Pat nahm die Zuschauerfrage sehr ernst und nahm sich Zeit dafür, um zu erklären, dass Hinter-der-Senkrechten nicht gleich Hinter-der-Senkrechten ist. Eines meiner Lieblingszitate von Pat ist: „Es kommt nicht nur darauf an, was man tut, sondern wie man es tut, wann man es tut und vor allem warum man es tut.“ Pat Parelli hat erklärt, dass Westernpferde natürlich ein anderes Gebäude haben als Englischpferde mit einem ganz anderen Halsansatz und auch völlig anderen Anforderungen. Er erklärte, dass Klassischreiter viele Wendungen in Kreisform reiten, wohingegen sich Westernpferde in einer Art Viereck auf der Stelle bewegen – z.B. beim Cutting oder beim Rollback in der Reining. Auf diese Anforderungen muss ein Pferd körperlich vorbereitet werden: Das ist es, was Pat immer wieder betont: Die Übungen fürs Pferd sollen in der richtigen Reihenfolge absolviert werden, wobei keine Vorübungen ausgelassen werden dürfen. Eine sinnvolle Gymnastizierung ist nun mal ein Wechselspiel aus Anspannung und Dehnung von Muskeln. Extreme – egal in welche Richtung – sind selten gut. Rollkur wird selbstverständlich auch hier abgelehnt, aber das andere Extrem, die Angst, dass das Pferd einmal hinter die Senkrechte kommt. Im Moment recherchiere ich genau dieses Thema und werde es in einem meiner nächsten Artikel versuchen von allen Seiten zu beleuchten, wenn ich genügend Material hierzu gesammelt habe. Unstrittig ist natürlich, dass ein Pferd in der überwiegenden Zeit in Dehnungshaltung geritten werden soll, worum es in diesem Artikel ebenfalls gehen soll. Pat Parelli befürwortet ebenfalls die Dehnungshaltung, aber diese solle nicht erzwungen werden, sondern sich mit der Zeit durch einen sinnvollen Trainingsaufaufbau von selbst ergeben und zur Idee des Pferdes werden.
Die Sache mit den Extremen hat Pat Parelli einmal sehr einleuchtend am Beispiel des Carrot Sticks (oder Karottensteckens) erklärt. Der war in seiner ursprünglichen Form orange und sollte sowohl die Möhre als auch den Stock symbolisieren. Pat fragte seinerzeit, welche Pferdeausbilder besser seien: Die, die alle Probleme mit Möhren lösen wollten oder die, die Widersetzlichkeiten des Pferdes mit Stockhieben zu Leibe rücken. Nach Pat Parelli ist beides falsch. Er sagt von sich selbst, er sei auch extrem: Ein extremer Mittelweg-Beschreiter. So lautet eines seiner berühmtesten Zitate: „Sag niemals nie, sag nicht immer immer, normalerweise sag normalerweise.“ Diese Flexibilität und die Entwicklung eines guten Bauchgefühls aus einem fundierten Wissen heraus, ist immens wichtig bei der Pferdeausbildung, die bei Parelli auf zwei gleichwertigen Säulen ruht: Dem Gehorsam und der Motivation. Bei der Menschenausbildung ist das System dann (zumindest am Anfang) nicht ganz so flexibel, denn der Mensch muss einfach sein Handwerkszeug verstehen und sollte möglichst viele, wenn nicht gar jede Technik im Umgang mit Pferden aus dem Eff-Eff beherrschen. So haben wir im Level 2 gelernt, dass man sowohl die Vorhand als auch die Hinterhand bewegen können muss: nur mit dem Zügel, ganz ohne Bein. Im Level 3 und 4 verläuft die Übung genau andersherum: Kann ich Vorhand und Hinterhand nur mit dem Bein bewegen, ohne den Zügel zu benutzen? Interessant war auch, dass Pat am Pferdebauch verschiedene Zonen identifiziert hat, worauf ich in meinem Buch ebenfalls noch näher eingehen werde. Mein Fazit aus dem Kurs ist aber: So wichtig die körperlichen Aspekte – wie die Dehnung und Kräftigung von Muskeln – auch sind, ein Horseman vergisst nie, auch die Seele, den Geist und vor allem die Begeisterung bei seinem Pferd weiterzuentwickeln. Das Fazit meiner Tochter war übrigens: „Und wann ist der Level-5-&-beyond-Kurs?“
yoga_artikel
Einen Reisebericht und Anekdoten zum Level-4-&-Beyond-Blog finden Sie hier:

http://www.12oaks-ranch.de/storys/blog-zu-florida-parelli/


Hier übrigens meine Playlist, wo ich die sieben Spiele erkläre, wie sie sich von Level 1 bis Level 4 entwickeln.


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