Sonntag, 6. März 2016

Zwischen Kopfhaltung einer WC-Ente & "Hinter der Senkrechten macht noch keine Rollkur"

AUSZÜGE AUS MEINEM NEUESTEN FACHARTIKEL BEI 4my.horse:
Ich bin ja aus vollem Herzen Westernreiterin und finde es einfach schön, wenn ein gelassenes, entspanntes Quarterhorse den Kopf ganz entspannt und unaufgeregt einfach nach unten fallen lässt. Trotzdem toleriere ich andere Reitweisen, denn alles andere ist einfach arrogant: Frei nach Sokrates weiß ich, dass ich nichts weiß und erreiche als überzeugte Parelli-Studentin immer nur den nächsten Level der Inkompetenz. Vor diesem Hintergrund wundere ich mich oft über die Inbrunst in Diskussionen, wo manche Kontrahenten es selbst dann ganz genau zu wissen glauben, wenn lediglich Meinungen ausgetauscht werden, die mehr von Emotionen geprägt als wissenschaftlich fundiert sind. (...) 
Weil meine Meinung hier aber von meinem individuellen Empfinden und Geschmack als Westernreiterin geprägt ist, wollte ich es wirklich wissen und das Ganze aus wissenschaftlicher Sicht betrachten. (...)
Unsere Fancy hat im wahrsten Sinne des Wortes ihren eigenen Kopf und den am Liebsten weit oben. Da ich mich in allem, was ich mit Pferden tue am Natural Horsemanship orientiere (denn das sollte die Grundlage für alles Weitere sein), habe ich bei Fancy zunächst versucht, die emotionale Versammlung zu fördern, denn wer innerlich angespannt ist, kann auch äußerlich nicht locker sein. Nach den „Horsenalitys“ von Pat Parelli ist Fancy ein so genannter Right Brain Extrovert. Dieser Pferdepersönlichkeitstyp würde auf Deutsch übersetzt in etwa so beschrieben, dass es von Haus aus ein ängstliches Pferd ist, das zur Flucht neigt, also rennt, wenn es verunsichert ist oder Angst hat. Typisch für diesen Pferdepersönlichkeitstyp ist: Der Kopf ist oben – ganz weit oben. Denn diese Pferde wollen ihre Umgebung nach Freßfeinden und möglichen Gefahren absuchen. Dennoch ist die Anatomie dieser Pferde natürlich nicht anders als die aller anderen Pferde. Nervöse Pferde profitieren nicht minder von der Dehnungshaltung und auch sie sollten in ihrer Muskulatur locker sein, im Rücken schwingen und diesen aufwölben. Die in der Fachwelt „Losgelassenheit“ genannte Eigenschaft ist unserer Fancy nun aber völlig fremd. (...)
Beim Versuch unsere Fancy zu versammeln, hatten wir regelrechte Panik vor Rollkur-ähnlichen Momentaufnahmen. Doch Fancys Nase geriet halt doch immer einmal hinter die Senkrechte und meine Kinder und ich haben uns in diesen Fällen kontinuierlich gegenseitig korrigiert, weil wir durch die Diskussion über die Rollkur im höchsten Maße dafür sensibilisiert waren, dass ein Pferd niemals – auch nicht für wenige Sekunden – hinter die Senkrechte geraten darf, mit der Folge, dass Fancy auch erstmal nicht gelernt hat, den Hals fallen zu lassen und beim Geritten-Werden den Kopf mit der so genannten Nackenplatte und den Reiter mit dem Nackenband zu tragen. (...)
So haben auch wir bei unserer Fancy alle Strategien angewandt, die ihr helfen, mehr Vertrauen zu entwickeln: Vertrauen in den Menschen, Vertrauen in die Umgebung und Vertrauen in sich selbst. Diese Strategien waren wichtige Zwischenschritte mit dem Ergebnis, dass Fancy sich mittlerweile sogar ohne Kopfstück in allen Gangarten reiten, aus dem Galopp anhalten und fliegend wechseln lässt – mit einer moderaten Kopfhaltung – nicht ganz oben und nicht ganz unten. Nun benötigt aber auch Fancy ein Mindestmaß an Versammlung und muss wie jedes andere Pferd auch gymnastiziert werden. Wie oben gelesen ist ihre Vorliebe zur Kopfhaltung einer WC-Ente nicht gerade gesundheitsfördernd, da dabei dann ja auch der Rücken weg gedrückt wird. Daher ist manchmal auch der umgekehrte Weg denkbar und erforderlich: Ich entspanne das Pferd körperlich, damit es auch emotional loslassen kann. Diese Überlegung hat Pat Parelli einmal mit der sinngemäßen Frage aufgeworfen: „Was war zuerst? Das Ei oder das Huhn?“ (er sprach im Englischen von einer Eidechse). Ein Reining-Trainer hat mir einmal erklärt, dass ein kurzfristiges Treiben des Beins gegen den Zügel dazu führen kann, dass auch verspannte Pferde den Rücken wölben und weich werden können. Denn die Dehnung von Muskeln ist sowohl beim Menschen als auch beim Pferd grundsätzlich sinnvoll, wenn man eine bestimmte Grenze nicht überschreitet.(...)
Da es in der Westernreitweise zumindest im Endziel weder Aufrichtung noch Anlehnung gibt, rät Reiningreiter Grischa Ludwig in dem Artikel dazu, Hilfen punktuell einzusetzen: „Ich versuche von Anfang an, das Pferd von der Anlehnung wegzubekommen. Wenn es seine Form verlässt, drücke ich es da hin, wo ich es haben will.“ Im gleichen Artikel wird ein anderer Westernexperte zitiert. Ralph Edmond Knittel, Pferdewirtschaftsmeister und Trainer B, der zumindest in der Ausbildungsphase einen Sinn in der Anlehnung sieht: „Nur durch diese elastische Spannung zwischen Reiterhand und Pferdemaul und durch die gleichzeitige Aktivierung der Hinterhand kann sich das Nacken-Rückenband des Pferdes spannen und dadurch die Wirbelsäule stützen und vor frühem Verschleiß schützen.“ Ähnlich wie Pat Parelli rät die erfolgreiche Cutting-Reiterin Ute Holm von Extremen jeglicher Art ab – auch das Westernpferd müsse gymnastiziert werden. Holms Weg führt in drei Phasen über die Anlehnung zum Endziel des langen Zügels, denn erst muss das Pferd die Selbsthaltung lernen. Einfach den Zügel lang lassen, ohne jegliche Gymnastizierung, sei kein gutes Westernreiten, warnt Ute Holm: „Wenn ich ein Pferd dazu bringen möchte, seinen Rücken aufzuwölben, so muss ich mehr mit Bein und Hand reiten. Das reine Nachgeben am Zügel ohne den treibenden Schenkel, wird ein Pferd wohl nicht auf Dauer gesund erhalten.“
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